Der Mirabelle ist es egal
Auf unserem gestrigen Abendspaziergang habe ich mit meinem Mann – wie seit einem Jahr üblich – die Situation des Tages besprochen. Die neuen Lockdown-Regeln, die Perspektiven, die Ängste, die Hoffnungen. All’ dies und noch mehr begleitet uns auf unserer „Heimrunde“ über die Felder direkt hinter unserem Haus. Wenn die Abendsonne in einem bestimmten Winkel auf den Weg fällt, meine ich fast, unsere Spuren sehen zu können, die wir hier hineinspaziert haben – so oft, wie wir diese Runde schon gelaufen sind…
Dabei reden wir natürlich nicht nur über „die Situation“. Das wäre ja auch zu scheußlich! Wir tauschen uns aus, schauen uns die Gegend an (gestern haben wir 6 Rehe gesehen!) und bekommen so den Lauf der Jahreszeiten mit. Ab und zu stürzen wir in ein emotionales Loch und werden von der Unsicherheit des Lebens übermannt. Da ist ein Blick auf Äcker und Felder sehr heilsam, denn dort sehen wir, dass es der Natur nichts ausmacht, ob die Geschäfte nun auch Gründonnerstag geschlossen bleiben oder nicht.
Als wir gestern kurz vor dem Nachhausekommen am alten Bauernhof vorbeikamen, schaute ich nach oben, und siehe da: der Mirabellenbaum blüht schon! Er steht da schon ewig, hat den Mauerbau und den Mauerfall erlebt, und jedes Jahr, wenn es Zeit ist, beginnt er das Leben zu feiern und blüht einfach. „Schau mal!“, sagte ich zu meinem Mann. „Der Mirabelle ist es egal!“. Wir schwiegen beide andächtig und gingen irgendwie aufgeräumter weiter. Genau. Der Mirabelle ist es egal – das Leben ist so viel mehr als Lockdown, Pandemie, Angst, Rechthaberei und Profitgier.
Wir wissen alle nicht, was richtig ist, und ich meine wirklich uns ALLE. Und doch können wir ALLE innehalten, uns beruhigen und das tun, was als Nächstes ansteht. Ob es uns schmeckt oder nicht.
Was es jetzt braucht: Atmen. Innehalten. Mirabellenbäume betrachten.
(C) Copyright Johanna Wienzek
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